Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

momoinno
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Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

Beitrag von momoinno »

Die Vorbereitungen für die anstehende Sommertour hatten schon recht früh begonnen als es Corona noch nicht gab und Reisebeschränkungen nur für den Iran galten. Damals galt es Mopped Nr. 4 zu besorgen…wir hatten unseren Senior überzeugt oder eigentlich überredet mitzukommen. Abenteuerlich klingende Pässe wie den Passo di Dordona, den Passo di Spina oder das Kaiserjägersträßchen wollte und konnte er sich nicht entgehen lassen. Dass das Ganze nur in Kombination mit Übernachtungen im Schlafsack und ohne Zelt von statten gehen sollte, war zwar vordergründig lästig, insgeheim trug das aber dem Abenteuercharakter nur weiter zu und entsprechend spannender wären die zu erzählenden Geschichten. Zuvor waren wir „nur“ zu Dritt unterwegs….wir drei Brüder.

Im März 2020 wurde eine „gut gebrauchte“ Suzuki Address 125 in Ravensburg zugekauft….die ölte zwar wie ein alter Traktor und auch die Verkleidung war sehr in Mitleidenschaft gezogen, aber nichts was sich nicht richten ließe…dachte ich. Kaum daheim wurde geschraubt, die linke Motordichtung gewechselt, nachdem der Tausch der Ölfilterdichtung keinen Erfolg brachte sowie neue Reifen aufgezogen. Das Ölen wurde kaum weniger, dafür war durch die neuen Reifen die Unwucht beim Fahren raus. So schnell ging’s dass 4 Suzuki Addressen da standen….und noch viel schneller ging’s dass es wieder nurnoch 3 waren. Die erste Panne noch bevor die Tour begonnen hatte passierte exakt 4 Monate vor dem damals noch nicht definierten Tourstart. Vorfahrtsstraße – stehendes Auto links – plötzlich nichtmehr stehendes Auto – Abflug über die Motorhaube auf den Bordstein – die Address mit Highsider auf ein Straßenschild. Die Diagnose: Prellungen und Schürfungen beim Fahrer, gebrochene Verkleidungsteile, verbogener Lenker und ein kaltverformter Heckrahmen am Mopped => Totalschaden.
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momoinno
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

Beitrag von momoinno »

Die Versicherung zahlte glücklicherweise anstandslos, so dass die Suche von vorne losgehen konnte. 4 Wochen vor dem Tourstart gesellte sich dann eine weitere, ebenfalls schon „gut gebrauchte“ zu uns, die im dritten Gang von ihren Leiden lautstark berichtete => rasseln wie eine ins unendlich gelängte Steuerkette, was gem. der allgemeinen Meinung im Forum zwar keine Beeinträchtigungen mit sich bringt, einem jedoch ungemein auf den Zeiger gehen kann….mir zumindest. Kurzum wurde der verunfallte Motor verpflanzt und kam so zu einem zweiten Leben.

Am 1. August sollte es losgehen. 4 Tage und 1.700km, mittlerweile nichtmehr nach Südtirol und Umgebung sondern umdisponiert auf Schweiz per Autobahn, Vercors, Drome, Hochprovence. Wie immer möglichst kleine Straßen mit und ohne Asphaltbelag. 2 Wochen zuvor wurden die Addressen noch neu besohlt und evtl benötigte Ersatzteile für noch anstehende Services wie Kettenkit, Bremsbeläge und Ölfilter zugekauft. 3 Tage vorher waren dann alle Moppeds abfahrbereit. 2 Tage vorher wurde die Tour noch dahingehend umgeplant, dass wir zwar bis Genf per Autobahn anfahren würden, die eigentliche Tour jedoch im Uhrzeigersinn unter die Räder nehmen wollten, also zuerst die „großen“ Alpen, dann über die Regionen Drome und Vercors zurück. Bis 12 Stunden vor Tourbeginn wurde noch an der optimalen Gepäcklösung gebastelt, um von Marke „Pizzabote“ mit endlosen 120ltr Volumen, womit man einem Kleinwagen Konkurrenz machen konnte, dann doch wieder auf das altbewährte Topcase umzusatteln.
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Der Treffpunkt wurde irgendwo in der Mitte aller Wohnorte, definiert und der Zeitpunkt auf 5.45 Uhr anberaumt, so dass wir noch vor 12 Uhr einmal komplett durch die Schweiz durch sein sollten und die schönen Strecken beginnen konnten. Um 5.46 Uhr stellten wir bei km-Stand 12 fest, dass eine Rücklicht-Birne an „Ravensburg“ durchgebrannt war…immerhin das Bremslicht funktionierte noch, sodass wir uns zur Weiterfahrt entschieden. Der erste Tankstopp fand noch in D statt, so dass wir vermeindlich gemütlich bis hinter Bern kommen würden, 135km bis zum Rasthof mit Tanke. Bei km 133,5 seit dem letzten Tankstopp in D fehlten plötzlich meine Mitfahrer im Rückspiegel. Address „Ravensburg“ hatte erheblich höheren Spritdurst als die restlichen Kollegen und gönnte sich bei Autobahn-Geschwindigkeit satte 3,2l, so dass der 4,2l-Tank prompt 1,5km vor der Tankstelle leer war. In weiser Voraussicht hatten wir Ersatzkanister dabei, die in noch weiserer Voraussicht schon bei Abfahrt befüllt waren. So war diese Panne eigentlich garkeine und innerhalb von Minuten gelöst bis die Fahrbarkeit wieder hergestellt war. Beim dennoch obligatorischen Tankstopp an der Rastanlage konnten wir sogar eine neue Birne für’s Rücklicht ergattern - der Doppelpack für 4,90 Franken – ein Schnäppchen! Der restlichen Autobahnbolzerei bis Genf stand damit nichtsmehr im Weg…der erste und sehr belebte Pass „Col des Aravis“ war nach einem weiteren Tankstopp schnell erreicht, hier starteten wir auch die erste Schotterpassage zum Col de l’Arpettaz…10km feinster loser Untergrund…wir mussten uns den zwar mit ein paar Wanderern teilen, mangels üppigem Federweg und satter Beladung waren wir jedoch ohnehin nur marginal schneller….also kein Problem. Ein kurzer Einkehrschwung am örtlichen Rifugio mit Cola und Espresso samt Blick auf den wolkenfreien Mont Blanc hauchte den Alltag endgültig fort und ließ uns in den Liegestühlen vollends entspannen.
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momoinno
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Über Ugine und Beaufort wollten wir mit der „Cormet d’Aréches“ die nächste Schottpassage unter die Räder nehmen…gesagt, getan! Der Übergang ist landschaftlich herrlich und ab dem Stausee wo der Asphalt in losen und teils zerfurchten Schotter übergeht, wird auch der Touri-Verkehr deutlich weniger….Jahre zuvor hatten wir kurz hinter der Passhöhe im dortigen Rifugio übernachtet. Wie bereits auf der Anfahrt durch die Schweiz bekamen wir auch hier ausnahmslos nach oben gestreckte Daumen gezeigt…Wanderer, Landi-Fahrer, egal….mit den Cubs kommt man gut an….zumindest bis Bourg Saint-Maurice an der SuperU-Tankstelle wo ich mich beim Absteigen über mein tief hängendes Topcase wundere. Bereits im Vorfeld war ich mir nicht sicher ob der Billig-Topcaseträger, der an nur zwei Stellen am Heckrahmen befestigt ist, die Strapazen problemlos mitmacht….aber Entwarnung: Der Topcaseträger ist intakt! Dass stattdessen der Heckrahmen verformt und an den Gewinden bereits mit deutlichen Rissen gekennzeichnet ist, macht die Sache aber nur schlimmer….ich dreh durch! Nach kurzer Rat- und Fassungslosigkeit werden im SuperU neben Rotwein und Hackfleisch auch zwei Zurrgurte gekauft, mit denen das Topcase auf dem Rücksitz provisorisch befestigt wird bis ich mir abends am Übernachtungsplatz das Ganze genauer anschauen werde. Mit Topcase auf dem Rücksitz bleiben allerdings effektiv nurnoch wenige Zentimeter Sitzbank übrig….das tut weh! Zur Nächtigung hatte ich mir im Vorfeld auf Google Maps ein kleines Seitental an der Auffahrt zum Iseran-Pass rausgesucht…eine Sackgasse ohne Erwähnung in Google…da werden wir einsam sein und unser Abendessen ungestört genießen können. Die zwei Duzend Wohnmobilfahrer die unterhalb der Staumauer und am Ende der legal befahrbaren Straße campierten, hatten wohl den gleichen Plan….Sauerei! Trotz der dunklen Wolken, welche sich von allen Talseiten her drängten fuhren wir noch bis Val d’Isere um dort dann nach erneut vergeblicher Suche im Hauseingang eines verlassenen Hotels Unterschlupf zu finden. Dort waren wir dann auch vor den nächtlichen Regenschauern geschützt und konnten in Ruhe unser Chili con Carne a la Surf&Turf kochen. Nach einem Nachtisch bestehend aus sauren Gummibärchen krochen wir dann bei optimalen Temperaturen – wir waren auf 1500m Höhe - in den Schlafsack. Ohrstöpsel rein – Stille! Den nächtlichen Drive by eines Geländewagenfahrers, der sich mit hell erleuchteten Scheinwerfern und einem Hupkonzert vor unserer Unterkunft positionierte bekam ich ebenso wenig mit wie den Besuch einer Kröte, die einmal quer durch unser Lager hüpfte….vom Gesicht meines Vaters mit einem Sprung über mich drüber auf das Gesicht meines Bruders, der das niedliche Tier dann mit einem gezielten Wischen auf meinen 2. Bruder “Reiter der Ravensburg“ katapultierte….Prost, Mahlzeit!
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Der nächste Morgen bot uns einen wunderschönen Sonnenaufgang und damit die Motivation schnell abzubauen, einzupacken und los zu düsen. Am Vorabend hatte ich mich natürlich nichtmehr um die optimale Verzurrlösung für das Topcase gekümmert und so durfte ich erneut recht unentspannt fahren. Dennoch war die Auffahrt zum Col de Iseran ein Genuss, die Temperaturen so früh morgens und in dieser Höhe angenehm kühl bzw fast schon wieder unangenehm. Auf der Passhöhe angekommen war es windig und eisig aber mit herrlicher Aussicht. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dass wir die Auffahrt zur Bergstation des Skigebiets über die Versorgungspiste bis auf 3.200 mtr zumindest versuchen werden, wenn auch die Aussicht auf Erfolg recht gering war. Jahre zuvor war ich dort mit der Enduro hoch und hatte damals schon zu kämpfen…war aber immerhin auch das doppelte Gewicht. Da ich mein Topcase-Problem noch immer nicht gelöst hatte, die Altschneefelder auch jetzt Anfang August noch recht ausgeprägt waren und die Steigung stellenweise bei geschätzten 25-30 % lag, einigten wir uns darauf, dass der Iseran mit seinen 2.770m ja auch ganz akzeptabel war und düsten mit dem Ziel eines Espresso-Frühstücks dem Tal entgegen.
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Beitrag von momoinno »

Ziemlich genau mit Erreichen des Talbodens irgendwo im Nirgendwo zwischen Iseran und Lanslebourg waren meine Mitfahrer mal wieder aus dem Rückspiegel verschwunden, also umdrehen und nachsehen….wird doch hoffentlich nichts passiert sein. Nach 2km sehe ich alle drei am Straßenrand stehen und ratlos auf die „Ravensburg“ schauen. Als Diagnose wurde mir beim Anrollen ein „Es hat gerumpelt und dann gerasselt und dann ging nichtsmehr….“ Zugerufen….schau mer mal. Stöpsel des Kettenkastens auf und da liegt sie, die Kette. Kettenkasten runter und mir kommt auch gleich das gerissene Kettenglied des Clipschlosses entgegen. Eine Woche zuvor hatte die „Ravensburg“ noch einen platten Hinterreifen, der von einer Autowerkstatt am Ort des Geschehens repariert wurde; meine einzige logische Herleitung war, dass diese unwissend den Clip falsch herum montiert hatte und sich dieser dann mit der Zeit löste. Alles halb so wild, hatte ich doch in weiser Voraussicht mal ne ganze Kette samt Clipschloss eingepackt, wovon ich zuvor noch 3 Satz aus GB über ebay erstanden hatte….extra stabil, nennt sich „heavy duty“…genau das, was wir brauchen. Bis zum Zeitpunkt des Verbindens der Kette mit dem Kettenschloss war ich die Lässigkeit in Person und genoss das umstehende Staunen ab meiner Weitsichtigkeit doch ein solch normalerweise nicht benötigtes Verschleissteil eingepackt zu haben. Just in dem Moment als mit klar wurde, dass „heavy duty“ durch die Dimension 428 anstatt der Standard-Dimension 420 erreicht wurde, wich meine Lässigkeit und nackte Panik ab der Ausweglosigkeit unserer Situation machte sich breit. Ahhhhhhh!!! Hätte ich doch nur nachgedacht oder zumindest noch das Ritzel und Kettenrad eingepackt, das darf nicht wahr sein…und zu allem Überfluss war auch noch Sonntag! Trampen, ADAC, schieben!? Die Optionen wurden im Seitengraben der D902 diskutiert, bis wir uns auf’s Abschleppen in den nächsten Ort einigten, in dem doch hoffentlich irgendwer ein Mopped hat, bei welchem wir das Kettenschloss abbauen durften.
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Ich mache es halbwegs kurz: Nach dem Abbau der Frontverkleidung um einen Abschlepppunkt zu finden, sowie einer überhitzten Bremse auf der Abfahrt, hatte „Lanslevillard“ nichts, trotz einer 60 minütigen Irrfahrt durch das ganze Dorf mit zwischenzeitlichem Verlierens unseres Seniors, der uns beim Vorbeifahren zwar anschaute aber nicht sah. „Lanslebourg“ hatte bis auf einen hilfsbereiten Hotelier, der seine Kettenschlosssammlung mit 415er und 428er Kettenschlössern stolz präsentierte, leider auch nichts. Was tun? Übernachten? Weiterschleppen nach Saint Jean de Maurienne, wo es vermutlich am Sonntag auch nichts gibt? Da es gerade mal 13 Uhr war entschieden wir uns für die für uns logischste Option: Wen interessieren Sonntage nicht? Die Italiener! Da hat bestimmt was auf. Also über den Col Mont Cenis nach Susa, da finden wir sicherlich was. Die Auffahrt auf den Col Mont Cenis sind ab Lanslebourg fast 800hm. Auf der Ebene oder bei leichtem Gefälle hatten die 9PS mit den 400kg inkl Fahrer und Gepäck der 2 Addressen noch halbwegs leichtes Spiel. Die durchschnittlich 7% Steigung hinauf zur Passhöhe brachten die Schlepp-Address jedoch an ihre Grenzen. Meistens im ersten Gang bei Maximaldrehzahl = 30km/h, zwischendurch im 2. Gang bei stetig sinkender Drehzahl, kämpften wir uns die 10km als fahrendes Verkehrshindernis nach oben. Glücklicherweise war an dem Tag kein E-Bike-Fahrer unterwegs….der hätte uns grinsend überholt. Oben angekommen wurde getauscht und ich übernahm die antriebslose „Ravensburg“. Die südseitige Abfahrt nach Susa mit ihren 25km reichte für eine antriebslose Höchstgeschwindigkeit von über 80km/h, die ich auch ausnutzen musste um auch so weit wie möglich zu kommen, soweit mein Plan…insgeheim machte das nen Heidenspaß und war der eigentliche Grund „es krachen zu lassen“. Die Kurven wurden mit maximaler Schräglage im Hanging-Off durchfahren, so dass ich es in Susa sogar noch über die erste Ampel nach rechts bis auf einen Parkplatz schaffte…Check…der wurde unser Basecamp!
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Wer auf ein schnelles Ende hofft, der überspringt einfach den nächsten Absatz, es dauerte nämlich noch. Susa bietet eine Fülle an Zweiradwerkstätten, von denen sogar eine aufhatte. Ich startete die Erkundung per Zweirad, während meine Brüder die bereits in Lanslebourg gestartete Facebook-Hilferuf-Aktion vom Parkplatz aus koordinierten. Die erste Werkstatt hatte auf und auch Kettenschlösser, aber keine 420er….shit! Die zweite Werkstatt war geschlossen, der Inhaber wohnte jedoch darüber. Dieser war allerdings das ganze Wochenende über in Turin, wie die benachbarten Tankstelleninhaber wussten….shit! Die dritte und vierte Werkstatt hatte ebenfalls geschlossen, über Whattsapp konnte ich jedoch Kontakt aufnehmen. Beide kamen erst am Montag wieder aus dem Kurzurlaub zurück….shit! Werkstatt Nr. 5 war keine Werkstatt, nur ein Hinterhof. Werkstatt Nr. 6 war lediglich ein Showroom für Caferacer….shit! Zwischenzeitlich hatte ich noch zwei Jugendliche angesprochen bzw mir insgeheim die Ketten ihrer beiden 125er 2-Takter angeschaut….415er….pffff. Auch eine gut ausgestattete Privatwerkstatt für Fiat500 und Vespas konnte nicht helfen. Nach 1 ½ Stunden der ergebnislosen Suche kehrte ich ins Basecamp zurück, das nicht tatenlos war. Ein zufällig vorbei gefahrener Turiner war der Meinung zuhause ein passendes oder zumindest doch passend zu machendes Kettenschloss zu haben. Dieser wollte die mind. 45 min nach Turin fahren und dann wieder zurück kommen….oha. Parallel war bereits Kontakt zum örtlichen Motorrad-Club-Präsident „El Presidente“ hergestellt, der just auch zufällig an uns vorbeilief. Vorübergehend kümmerte sich gefühlt halb Susa um uns, auch die Balkone der Nachbarhäuser füllten sich mit Schaulustigen. „Turin“ kam tatsächlich nach knapp 2 Stunden zurück mit nem 415er Kettenschloss, was von den Maßen her halbwegs ähnlich sein sollte, jedoch nicht passte. Ein hinzugelaufener Handwerker half mit Schleifpapier und Feile aus um passend zu machen, was nicht passte. Aber alles feilen, gut zureden und anfeuern half nichts….es sollte nicht sein. Gegen 18.30 Uhr überprüften wir unsere Optionen und einigten uns zuerst darauf, dass wir heute nacht keine Lust auf eine Freiluftübernachtung in Susa hatten. Knapp 15km entfernt gab es ein Hotel mit günstigem Zimmer und gutem Essen, also aufgesattelt und hingeschleppt, nachdem sich fein bei allen Beteiligten bedankt wurde. Die Kurzfassung zum Abend: Heiße Dusche, nach verschwitzten Klamotten stinkendes Zimmer und leckeres Essen! Was für ein Tag!
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Am Montag morgen öffnete die nächstliegende Werkstatt um 9 Uhr, genau um diese Uhrzeit stand ich davor….“ein 420er Kettenschloss brauch ich….ähm….quattro cento venti per la catena“ oder so. Keine 10 Sekunden später hatte ich 3 Kettenschlösser à 2€ in der Hand. Die Frage ob er am Sonntag aufgehabt hätte hab ich mir gespart und eingeredet, dass er bestimmt ganz weit weg war. Zurück am Hotel wurde „Ravensburg“ wieder fit gemacht und gleich noch mein Topcase-Problem gelöst. Umpacken, den Rest in eine stabile Plastiktüte und mein Topcase im Hotel lassen bis wir vielleicht nach Corona irgendwann mal wieder hierher kommen würden.
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momoinno
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Ab hier war’s wieder deutlich angenehmer zu fahren. Unseren ursprünglichen Plan bis nach Gap vorzustoßen um von dort über das Vercors und die Combe Laval wieder in die Heimat zu fahren, konnten wir aufgrund des Verlusts eines Drittels unserer Reisezeit einstampfen. Als Alternative einigten wir uns darauf die Ostseite der Alpen hinauf zum Lago Maggiore zu fahren, wie wir es ein Jahr zuvor bereits gemacht hatten. Der Col de Lis war nach 45 minütiger Schnellstraßen-Bolzerei der Einstieg ins Kurvengeschlängel der italienischen Voralpen. Ab Viu orientierten wir uns an kleinsten Straßen und fanden nach einem kurzen Bad in einem Bergbach bei einsetzendem Nieselregen im Colle della Dieta das Dorado, einer solchen. Einspurig und steil, mit geringer Sicht….herrlich! Der aufgezogene Nebel verhinderte jegliche Aussicht und dennoch hatte es etwas mystisches ohne Sicht im Unbekannten herumzufahren. Der Übergang von Niesel- in Normalregen veranlasste uns in einer Grillhütte anzuhalten. Da es bereits gegen 11.30 Uhr war, entschieden wir uns gleich zu mittag zu essen. Mein Bruder, der seit jeher für die kulinarische Versorgung zuständig war, zauberte Spaghetti mit Pesto auf dem Gaskocher, zum Nachtisch gab’s Saure Gummibärchen….yammi! Zwischenzeitlich hatte es wieder auf Nieselregen umgestellt und so stand einer Weiterfahrt nichts im Wege. Auf dem Weg ins Tal veränderte sich das Ganze jedoch zu Starkregen, so dass wir in einem verfallenen Haus Unterschlupf suchten. Der Blick auf das Regenradar der Wetter-App offenbarte schlimmes….die komplette italienische Alpenostseite war blau oder lila, also Regen oder Schnee, bis hoch zum eigentlichen Tagesziel, dem Lago di Maggiore. Klar hätte man bereits morgens um 8 oder 9 Uhr einen Blick auf’s Regenradar werfen können, scheinbar wurde ich sogar noch beim Frühstück darauf hingewiesen….ich kann mich nichtmehr erinnern. Während sich die Straße langsam in einen Bach verwandelte und der Regen in kleinen Wasserfällen vom maroden Dach stürzte, schmiedeten wir einen Plan, der so ganz und gar zur gesamten Tour passte: Wir fahren in Richtung Westen, wo das Wetter schön sein soll, also zurück ins Susa-Tal, die letzten 5 Stunden für’n A***** und fahren über Briancon in Richtung Alp d’Huez. Es war zum ins Gras beißen aber die Weiterfahrt nach Norden hätte Dauer-Starkregen bedeutet mit abendlicher Nächtigung im Freien….die Herausforderung wollten wir uns für ein anderes Mal aufheben.
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Also aufsitzen und los geht’s. Aus dem Starkregen wurde kurzzeitig ein sintflutartiger Starkregen mit Wasserdurchfahrten von guten 15 cm bei Null Sicht, ständig schwankend zwischen Anhalten und Aussitzen oder schnellstmöglich einfach durch die Regenfront. Nachdem wir nach einer guten Stunde über Schnellstraßen wieder den Kreisverkehr bei Avigliana erreicht hatten, wo wir wiederum 5 Stunden zuvor abgebogen waren, begaben wir uns mit der Aussicht auf Sonne wieder in Richtung Susa. Auf dem öden Weg dorthin plante ich im Kopf die weiteren Möglichkeiten: 1) Über Oulx weiter die Schnellstraße nach Frankreich oder 2) Über den mit leckeren Serpentinen und feinsten Schotter gespickten Colle delle Finestre. Da das Zeitmanagement ohnehin völlig im Eimer war bogen wir kurz vor Susa ab und schraubten uns die engen Serpentinen durch den Wald nach oben. Auf halber Höhe ging der schon in vorherigen Touren oft befahrene Weg in Schotter über bis dieser am Colle delle Finestre die Sicht in Richtung Sestriere frei gab. Mit herrlichem Blick auf die um 16.30 Uhr bereits tiefer stehende Sonne genossen wir nach den ganzen Strapazen und Irrwegen der letzten 48 Stunden den Moment. Auch hier wurden wir wieder einmal bestaunt im Sinne von „wie kann man mit solchen Möhren nur hier hoch gurken“.
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Nach einem weiteren Blick auf die Uhr wurden wir wieder von unserem Zeitproblem eingeholt….wir mussten weiter. Aber die Uhr konnte uns mal kreuzweise. Runter auf die Teerstraße und schnellstmöglich nach Sestriere? Pfff….sollen das doch die ganzen Geländewagen machen! Wir fahren jetzt erst Recht auch noch die gesamte Assietta-Kammstraße, auch wenn uns das noch weiter zurückwerfen wird und die Restfahrstrecke bis nach Hause endlos lange werden wird. Kurz nach dem Einstieg kämpften wir uns an einem Landi im Kriechgang durch um dann doch nicht erst bei Dunkelheit am Ziel anzukommen. Auf dem Colle dell‘ Assietta genossen wir den Blick in Richtung der noch übrigen Sehnsuchts-Orte Monte Jafferau und Colle Sommeiller…ein anderes Mal, die rennen nicht weg. Auf dem weiteren Weg verstopfte eine Oldtimer-Rally die Piste da der vorderste Renault R4 wohl ausgerechnet am engsten Stück eine Panne hatte. Zum Glück lassen sich 100kg auch noch auf der Grasnarbe neben dem Abgrund halbwegs sicher bewegen, so dass wir uns auch an diesem Hindernis vorbei mogeln konnten. Die folgenden Steilstück in Auf- und Abfahrt meisterten wir ebenso wie den Übergang in Richtung Sestriere, wo uns eine steife und kühle Brise entgegen wehte.
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

Beitrag von momoinno »

Nach guten 2 Stunden und viel Dreck gab’s einen kurzen Tankstopp im italienischen Top-Skiort bevor wir über den Col du Montgenevre nach Briancon weiter fuhren….Ankunftszeit dort war erst gegen 20 Uhr. Kurzer Stopp im Supermarkt um Würste, Baguette und Rotwein zu kaufen und ab die Post einen Schlafplatz suchen, den wir auch kurze Zeit später an der Auffahrt zum Col du Lautaret, direkt am Bachlauf fanden. Nach gefühlt endloser Diskussion über die optimale Bauart und Platzierung unseres Nachtlagers, konnten wir nach einer weiteren Stunde endlich unsere Würste braten und bei einem Schuck Rotwein genießen. Den einsetzen Regen habe ich dann schon nichtmehr mitbekommen, dem Rotwein sei Dank!
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Die Auffahrt zum Col du Lautaret am nächsten Morgen war eisig kalt. Der Blick auf die Fast-4000er des nördlichen Ecrins-Massivs ließ üble Vorahnungen aufkommen, da der nächtliche Niederschlag ab einer Höhe von ca. 2.500m als Schnee runter gekommen sein musste, was wiederum den Übergang des 2.642m hohen Galibier’s spannend werden ließ. Das Regenradar zeigte tendenziell in Richtung Galibier schlechtere Chancen auf besseres Wetter woraufhin wir uns für die Weiterfahrt nach Westen entschieden, was sich auch kurze Zeit später mit der durch die Wolkendecke durchbrechende Sonne als richtig und gut erwies.
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Re: Auf einen Espresso nach Susa....oder "Tour de Panne"

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Im Weiler „Le Freney-d’Oisans“ genossen wir eine heiße Schokolade mit frischem Baguette und Nutella während uns die Sonnenstrahlen aufwärmten um im weiteren Verlauf eine spektakuläre Hangstraße als Alternative zur im Tal verlaufenden D1091 unter die Räder zu nehmen. Auf halber Höhe stießen wir auf die Serpentinen zur Auffahrt nach Alp d’Huez um diese kurz vor Erreichen dieses überaus hässlichen Wintersportorts wieder auf das kleinste und ebenfalls spektakuläre Sträßchen über Villard-Reculas zu verlassen….einfach herrlich und optimal für unsere Gefährte! Die nachfolgende Fahrt über den Col du Glandon mit der ebenfalls schmalen und abenteuerlichen Nordrampe zog sich endlos, u.A. auch desswegen weil sich ein französischer Mercedes-Treiber über Kilometer hinweg erfolgreich gegen unsere Überholvorgänge wehrte, um schlussendlich erst gegen 13.30 Uhr im Talort Saint Etienne De Cuines anzukommen. Vor uns lagen ab diesem Moment noch 500km und laut Googlemaps im Optimalfall 5 ½ Stunden….mit dem Auto. Irgendwo in Höhe von Albertville entschieden wir uns nochmal einen schönen Blick auf den Montblanc werfen zu wollen, weshalb wir anstatt in Richtung Genf, über Chamonix abbogen. Die auf Googlemaps an sich attraktive Straße entpuppte sich u.A. aufgrund der ständigen Ortsdurchfahrten als völlig überlastet, weshalb uns diese Etappe nochmal 45min auf die Google-Zeitvorgabe oben drauf schlug. Vor und in und nach Chamonix konnte ich den Bllick kaum auf der Straße halten, wo doch der noch immer tief ins Tal reichende Gletscher vom Mont Blanc-Massif jeden Moment herab zu rutschen drohte und kontinuierlich beobachtet werden wollte….immer wieder etwas Besonderes dort durch zu fahren. Von der Abfahrt vom Col des Montets machten wir uns noch einen Spaß darauß einen vorausfahrenden Chopperfahrer zu belästigen, der zwar auf den Geraden an Abstand gewinnen konnte, den wir jedoch in den Kurven immer wieder mehr als wett machten um kurz nach dem Kurvenausgang Überholversuche anzudeuten….nach immer nervöser werdenen Blicken in den Rückspiegel ließen wir ihn dann aber kurz vor dem schweizer Grenzübergang ziehen. Die weitere Heimfahrt ist schnell erzählt: Fahren, tanken und Windschattenduelle, um dann gegen 20.30 Uhr endlich fix und fertig zuhause anzukommen. Hat sich’s gelohnt? Auch wenn die Pannen ärgerlich waren und schönere Strecken verhindert haben, war auch diese Reise alle Strapazen wert. Vom zuhause sitzen und Däumchen drehen würden wir unseren Kindern später keine spannenden Geschichten erzählen können.

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