derfranze hat geschrieben: ↑Sa 13. Mär 2021, 16:43
Einspurige Fahrzeuge sind während der Fahrt im sogenannten labilen Gleichgewicht. Sie können Umfallen. Aber die gute Nachricht ist das zum Umfallen eines Motorrades/Rollers/Fahrrades fast IMMER ein Mensch daran beteiligt ist, also ein Motorrad/Roller/Fahrrad nicht von selbst umfällt.
Mit dieser Einleitung will ich sagen das mutiges und beherztes Bremsen viel Übung braucht weil die Angst vor dem Sturz den Bremsvorgang im Unterbewusstsein mit begleitet. Nur ein drehendes Rad überträgt Seitenführungskraft, ein blockierendes nicht. Ein blockierendes Hinterrad ist relativ ungefährlich im Vergleich zu einem blockierenden Vorderrad - das führt nach der 2. Sekunde zum Sturz des Gefährtes.
Als Lenker kann ich beim Bremsen des Zweirades durch Training viel dazu beitragen meine Bremseffizenz zu steigern. Einige einfache aber trotzdem wirksame Regeln:
Der (mein) Blick steuert den Anhaltepunkt
Es genügt nicht die Bremswirkung theoretisch aus dem ff zu beherrschen. Im Gefahrenfall (Panik) hat der Lenker auf dieses Wissen keinen Zugriff mehr und er reagiert nur mehr instinktiv. Hier setzt das Training des Bremsvorganges ein. Das bedeutet, immer wenn ich entspannt am Radl sitze und bremse trainiere ich auch mein Bremsverhalten. Menschen reagieren automatisch auf Ihren Körper. Was ich sehe treffe ich auch. Das heißt im Umkehrschluss das ich nicht auf das Kennzeichen meines Vordermannes schaue beim Bremsen sondern ca. 1 Meter hinter die Stoßstange des vor mir fahrenden Fahrzeuges auf die Fahrbahn. Und wenn ich das konsequent trainiere schaue ich auch dann wenn es eng wird nicht auf das Hindernis sondern 1 m vor das Hindernis und bremse mein Radl in Grund und Boden. Ich gebe hier meine praktischen Ausbildungserfahrungen wieder, Zweifler dürfen das gerne ausprobieren ob ich lüge. Diese Technik funktioniert auch bei einem plötzlich seitlich in die Fahrspur kommenden Hindernis wenn ich mich dazu zwingen kann am Hindernis vorbeizuschauen dann lenke ich auch daran vorbei. Ganz wichtig dabei ist es aber eine Lücke zu finden wo ich mit dem Fahrzeug auch durch kann sonst tausche ich das Hindernis gegen den fahrenden Gegenverkehr.
Für unsere körperlichen Automatismen gilt das was ich sehe treffe ich auch, (todsicher!) versprochen.
Die richtige Bedienung der Handbremshebel:
Es weis ja eh jeder das beim Rollerfahren die beiden Bremshebel zum Handgriff gezogen werden um die Fuhre zum Stehen zu bringen. Wenn ich das jetzt jahrelang mache indem ich mit allen vier Fingern den Bremshebel betätige so habe ich bei einer Notbremsung nur mit ABS eine Chanche einen Sturz zu vermeiden. Weil die Hände vor Angst zuschnappen und die Bremsen voll betätigt werden. Mit der Folge das ein blockierendes Vorderrad nach 2 Sekunden Blockade zum Sturz führt. Unweigerlich - oder die Bremse wird gelöst, der Sturz verhindert und das Fahrzeug kracht mehr oder weniger fest gegen das Hindernis. Wir sind wieder beim Thema Training im Normalbetrieb. Wenn ich mir antrainiere den Handbremshebel mit einem sogenannten "Melkergriff" zu betätigen dann betätige ich auch bei einer Gefahr den Bremshebel wie tausendmal vorher entspannt trainiert. Der Melkergriff geht folgendermaßen, das ich zuerst mit dem Zeigefinger, dann dem Mittelfinger, dann dem Ringfinger und zuletzt den Kleinen Finger den Handbremshebel betätige. Und mit der gegenteiligen Bewegung wieder löse, vom kleinen Finger bis zum Zeigefinger. Probiert das mal so aus indem ihr die Finger einzeln schnell in der beschriebenen Art schließt und wieder öffnet.
Der Unterschied zur Schnappbremsung ist gravierend. Wenn ich beim panikartigen Anlegen der einzelnen Finger merke das beim Anlegen des kleinen Fingers das Vorderrad zum Blockieren beginnt hebe ich den kleinen Finger wieder weg und habe die maximale Bremswirkung am Rad. Kann auch schon beim Ringfinger anlegen so sein, z.B. bei rutschiger Fahrbahn.
Ich persönlich halte nichts davon die Vorderradbremse nur mit 2 statt mit allen 4 Fingern zu bedienen. Wird oft von den "Ringfahrern" propagiert. Wenn ich nicht selbst die Erfahrung gemacht hätte das dann bei einem Verstellbremshebel der Ringfinger und der kleine Finger vom Bremshebel zwischen dem Gasgriff und dem Bremshebel so eingeklemmt wurden das die volle Bremsleistung nicht erbracht werden konnte. GsD auf einem Übungsplatz.
Was ich hier schreibe erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder wissenschaftliches Wissen. Ich habe einfach im Lauf der Jahre alles probiert was mir Leute an "Gschichtln druckten" - lies kluge Meinungen erzählten - ob es meine Sicherheit verbessern könnte oder nicht. Wenn ich mir davon nach einer praktischen Erprobung einen persönlichen Sicherheitsgewinn versprach habe ich das auch meinen Fahrschülern weitergegeben. Ich habe zum Beispiel mit dem Melkergriff auf meiner ST1100 meinen Bremsgriff so weit optimiert bis die ABS Pumpe einschaltete aber das ABS noch nicht angesprochen hat. Und dann hat sich wie durch Zauberhand die Bremsleistung meiner Afrika Twin ohne ABS spürbar verbessert.
Ein Nachsatz noch für alle die einen spielerischen Training nichts abgewinnen können weil sie ja eh alles wissen und im Griff haben: Wenn 2 Menschen ertrinken und einer davon schwimmen kann und der andere nicht, gibt es bei der Obduktion einen kleinen Unterschied: Der Schwimmer hat kein Wasser in der Lunge weil der antrainierte Reflex "unter Wasser Mund zu" stärker wirkt als der fast angeborene Reflex zum Atmen. Wer mir das nicht glaubt der frage einen Gerichtsmediziner.
Das ist mal mein erster Beitrag. Ich freue mich natürlich über Feedback und eine Diskussion und möchte diese Reihe in lockerer Folge fortsetzen. Die nächsten Themen wären dann gestreckte Bremsung, Bremssysteme, Regelsysteme bei Bremsen, dynamische Achslastverteilung beim Bremsen und mein Wiederaufstiegstraining im Frühjahr oder mein Training beim Fahrzeugwechsel.
lg Franz