Bremssysteme und im Hintergrund arbeitende (auch digitale) Helferlein

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derfranze
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Bremssysteme und im Hintergrund arbeitende (auch digitale) Helferlein

Beitrag von derfranze »

Einzelradbremssysteme mit oder ohne ABS - eine Betätigungsvorrichtung für ein Rad - sind hier nicht das Thema. Ich setze die Bekanntheit sowie den technischen Aufbau einer Bremse voraus. Fremdkraftbremsanlagen und Bremskraftverstärker sind ebenfalls nicht das Thema dieses Stranges.

Die Integralbremsanlage - eine Betätigungsvorrichtung überträgt die Bremskraft auf mehr als ein Rad - ist nach dem WK2 bis heute der Stand der Technik im Kraftfahrzeugbau. Vom Anwender unbemerkt ist zwischen der Hinterradbremse und der Vorderradbremse ein Bremskraftregler verbaut der auf die Entlastung der hinteren Räder mit Verminderung der Bremskraft reagiert. Damit wird das Blockieren der Hinterräder beim Pkw effektiv unterbunden.
Der Herstellen MotoGuzzi versuchte sich als erster bei Zweirädern mit einer Integralbremse - mir ist die 850er Reihe, insbesonders die California in Erinnerung - die von der Kundschaft mit sehr gemischten Gefühlen betrachtet wurde. Beim Bremsen mit dem Fuß wurde eine Bremsscheibe vorne und die Bremsscheibe hinten gleichzeitig betätigt. Der Handbremshebel wirkte auf die 2. Scheibe des Vorderrades.
Die Firma MotoGuzzi dürfte die Pkw Technik umgesetzt haben weil die Ablehnung dieses Systems - nach anfänglicher Begeisterung - durch die Biker mit der Unbrauchbarkeit auf rutschiger Fahrbahn einen erheblichen Nachteil hatte: Das Bremssystem erlaubte nicht „voll in die Eisen zu greifen“ weil ein blockierendes Vorderrad schon beim Bremsen mit dem Fuß ein nicht lösbares Problem bei der Bremsleistung war. Hier fehlte entweder ein Bremskraftregler für die Reduktion der Bremswirkung auf das Vorderrad oder er war so eingebaut, das er wie im Pkw mit Schwächung der Bremse hinten reagierte. Der praktische Tod einer theoretisch guten Idee.

Aber die Idee war schon mal geboren.

Als nächstes kam die Entwicklung von ABS. Die erste Generation von der Firm Mercedes entwickelt hatte schnell den Ruf bremswegverlängernd zu sein. Honda entwickelte annähernd zeitgleich ein ABE System das im Gegensatz zu Mercedes auf der Hinterachse die Räder nicht einzeln regelte.
Auch wenn deutsche Zeitschriften die Fa. BMW als Pionier des MotrorradABS schönschreiben kam es einen Ticken früher aus Japan von Honda. Das ABS System von BMW hatte noch dazu einen kizekleinen Nachteil das es nach dem Abregeln nie wieder überprüfte ob die Haftung des Rades sich wieder verbessert hätte und regelte die Bremsleistung nicht mehr hoch - zum Unterschied von Honda. In der Fachliteratur nannte sich das dann „ABS Falle“. Bei ABS Vergleichstests wurden ca. 1 m breite „rutschige“ Fahrbahnbeläge aufgebracht, stellvertretend für Bodenmarkierungen, bei denen die Wiederhochregelung der ABS Systeme getestet wurde. (War da nicht mal was mit „Elchtest“ ?) Die Smart ABS-Regelungstechnik ermöglichte ABS dann auch für Trikes.
Ich kann mich noch gut erinnern wie wir die österreichische Vertretung der Fa. Honda bei jeder Gelegenheit löcherten für „kleinere“ Motorräder ein ABS wenigstens für das Vorderrad zu entwickeln

Aus heutiger Sicht ist die Verbesserung der elektronischen Helferlein in der Fahrzeugtechnik unmittelbar mit der rasanten Entwicklung der Computer gekoppelt. Bessere Rechenleistung erlaubte nicht nur mehr Sensoren und eingebundene Fahrzeugkomponenten als auch schnelleres, genaueres und öfteres Auswerten der gemessenen Daten.

Aus der Renntechnik kam für den normalsterblichen Biker die Erkenntnis dass das Stabilisieren mit der Hinterradbremse bei gleichzeitiger Ausnützung der maximalen Bremsleistung vorne eine Verbesserung des Fahrverhaltens brachte. Für den normalen Fahrer kam daraufhin das CBS. Eine quasi Weiterentwicklung der Integralbremse und bei „leichteren“ Zweirädern ohne ABS. Der Grundsatz des CBS ist dass das Rad welches ich abbremse die Hauptlast der Bremse trägt und das andere Rad „leicht“ mitgebremst wird. Ursprünglich für hinten und vorne. Heute gibt es abgespecktere Versionen bei denen nur beim Fußbremshebel das Vorderrad leicht - mindestens über Bremskraftregler, aber auch mit Einbeziehung vom Motorsteuergerät und ABS - mitgebremst wird.
Im Detail genau kenne ich nur das ABS-CBS System der ST1100 Pan European sehr gut. Die erste, rein mechanische Generation sozusagen. Das Motorrad hatte hinten und vorne Sechskolbenzangen auf den Bremsscheiben und 3 Bremszylinder, einen am Fuß, einen am Handbremshebel und einen Hilfsbremszylinder bei der linken Bremszange des Vorderrades, die beweglich ausgeführt war.
Der Handbremshebel betätigte bei jeder Bremszange die äußeren beiden Kolben an beiden Bremsscheiben des Vorderrades (4 Kolben)
Der Fußbemshebel betätigte die beiden äußeren Kolben der hinteren Bremszange (2 Kolben) und bei den beiden vorderen Bremszangen die mittleren Kolben (2 Stück). Ergebnis war auf die stärkere Wirkung auf das hintere Rad mit dem Fußbremshebel.
Der Hilfsbremszylinder wurde von der linken, beweglich angebrachten Bremszange betätigt. Also beim Betätigen des Handbremshebels und auch beim Betätigen des Fußbremshebels. Dadurch wurde der mittlere Kolben entsprechend der angewendeten Bemskraft auf der Bremsscheibe vorne der mittlere Kolben des Hinterrades betätigt. Fazit, das hintere Rad bremste auch nur beim Betätigen des Handbremshebels über den Hilfsbremszylinder stabilisierend mit. Mittlerweile, in der 3, Generation, erfolgt die Bremskraftregelung beim CBS über ein elektronisches Regelgerät das den Bremsdruck der Betätigungsvorrichtungen auswertet und die Bremsleistung verteilt. Schnellere Computer und mehr Sensoren, wie schon an anderer Stelle geschrieben machen es möglich. Die ABS Regelung stört dieses System in seiner Funktion nicht. Es verhindert nur zuverlässig ein Überbremsen eines Rades.

lg Franz

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FED
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Re: Bremssysteme und im Hintergrund arbeitende (auch digitale) Helferlein

Beitrag von FED »

In 10 Jahren kannst dann über Brake by Wire schreiben 🥳
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Bernd
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Re: Bremssysteme und im Hintergrund arbeitende (auch digitale) Helferlein

Beitrag von Bernd »

Brake by wire hatte mein Fahrrad schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Gruß
Bernd
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